Für die deutschen Energieversorgungsunternehmen waren die letzten beiden Jahrzehnte eine Zeit kleiner und größerer Katastrophen: Liberalisierung des Strommarktes 1998 Einführung des Erneuerbaren Energie Gesetzes 2000 und der damit verbundene Ausbau von regenativem Strom Klimaziele aus dem Kyoto-Protokoll und der geplante Ausstieg aus dem Kohlestrom bis 2038 Katastrophe von Fukushima im Jahre 2011 mit dem resultierenden Atomausstieg Aus einem zentralen Markt mit wenigen Akteur*innen wurde ein dezentraler Markt mit vielen, die Zahl der Stromanbieter auf dem deutschen Markt stieg kontinuierlich und erreichte 2016 bereits mehr als 1200. Teil dieser Umbrüche oder auch Energiewende ist die Mobilitätswende: Verkehr und Mobilität werden auf nachhaltige Energieträger – insbesondere E-Mobilität - und eine Vernetzung untereinander umgestellt.
Hier liegen Chancen für Energieversorgungsunternehmen: Mit Planung, Aufbau und Betrieb von Ladesäulen (sog. CPO oder Charge-Point-Operator Geschäft) weiten sie ihr Infrastrukturgeschäft aus. Diese Infrastruktur wird im öffentlichen oder im halb-öffentlichen Raum, z.B. beim Unternehmen, oder im privaten Umfeld (Wallbox am Eigenheim) errichtet.
Das zweite große Marktpotenzial liegt im Angebot der Elektro-Mobilität für Kund*innen, hier speziell für den privaten Sektor (B2C). Mit einem klug entwickelten Portfolio an Produkten und Tarifen, einer überlegenen Customer Experience und einer intuitiven App lassen sich Nutzende begeistern– im einem Markt, der für Begeisterungsstürme nicht bekannt ist.
Mobilitätswende: Chancen für neue B2C Geschäftsmodelle
Der sich neu entwickelnde Markt der e-Mobilität zieht jedoch auch neue, potente Spieler*innen an: „VW investiert 44 Milliarden Euro in Elektro-Offensive“, „Stromtankstellen-Betreiber Ionity[1] will expandieren“ und „Volkswagen präsentiert eine mobile Schnellladesäule“ sind nur einige aktuelle Schlagzeilen. Mit Elli hat der VW-Konzern zudem eine eigenes Strom-Angebot geschaffen, das Haushalts-Kund*innen in ganz Deutschland mit 100% Naturstrom versorgt. So ist es naheliegend, dass die großen Energie-Erzeugenden und -Vermarktenden – allen voran RWE/ e.ON, EnBW und Vattenfall - über innovative, kundenzentrische Angebote für den Stromnutzenden von morgen nachdenken.
Aus gemeinsamen Kundenbefragungen mit unserem Klientel wissen wir, dass es für private Energie-Konsumierende zwei zentrale Leitfragen gibt, wenn es heute um die Entscheidung für ein Energie-Angebot geht:
- Verstehe ich das Angebot auf Anhieb?
- Deckt es meinen Lösungsbedarf komplett ab?
Die Anforderung nach Einfachheit klingt simpel, hat es aber in sich: In Deutschland kann jeder Haushaltsstrom-Nutzende für seine Postleitzahl durchschnittlich zwischen 112 Energieunternehmen wählen. Diese haben dann wiederum mehrere Varianten an Arbeitspreis, Grundpreis, Laufzeit und anderen Vertragselementen. Hinzu kommt eine Vielzahl von Ladekarten (und Preis-Varianten) für den mobilen Ladestrom des Elektroautos. Wenn daher vom Kunden oder der Kundin Einfachheit gefordert wird, liegt die Latte für neue Geschäftsmodelle der Energieunternehmen in Deutschland hoch.
Als erste Säule der Portfolio-Entwicklung sollte eine einheitliche Berechnungsbasis der in Anspruch genommenen Leistung stehen. Im Kern ist das immer die Kilowattstunde. Sie wird für Haushaltsstrom zugrunde gelegt und eines der wichtigsten Anliegen von Nutzenden ist, dass die gleiche Abrechnungsbasis auf für Mobilen Ladestrom gilt. Gebühren pro Ladezeit, pro Ladevorgang oder andere vom Haushaltsstrom abweichende Logiken sind hierbei unbeliebt. Sie werden als intransparent und oft auch ungerecht empfunden. Das deutsche Eichrecht erschwert die kWh-basierte Abrechnung an Ladesäulen zwar noch, entsprechende Lösungen sind jedoch kurz vor der Marktreife. Die Energieunternehmen haben diesen Bedarf ihrer Kunden und Kundinnen erkannt und die ersten Vorreiter haben bereits auf die kWh-basierte Abrechnung umgestellt, so wie die Energie Baden-Württemberg (EnBW) oder das Telekom-Unternehmen Get Charge.
Einfachheit bezieht sich aber nicht nur auf die Berechnungsbasis des Produktangebots, sondern auch auf die Preispunkte – und natürlich das Produktportfolio insgesamt.
Ein mutiger Schritt zur Vereinfachung wäre, wenn die Preise für Haushaltsstrom und Ladestrom angeglichen würden. „Egal, ob zum Backen oder Elektroauto-Laden. Egal, ob zuhause oder mobil“ ist hier das Motto. Ein einziger Preispunkt pro kWh, und zwar deutschlandweit, würde das Leben für die Nutzenden deutlich einfacher machen. Ein etwas abgeschwächter, aber auch sinnvoller Ansatz ist, bestehende Haushaltsstrom-Verträge und ihre individuellen Preispunkte unverändert zu lassen und den Ladestrom (auch mobil) unter dieses Dach mit aufzunehmen. Für Endkund*innen ändert sich an seinen bestehenden Preisen also nichts, sämtlicher Strom fürs Elektroauto wird abgerechnet wie der Haushaltsstrom. Ein ebenfalls einfacher und überzeugender Lösungsansatz.
Eco-System statt Stückwerk
Die Motivation, ein Elektroauto zu fahren, geht bei den meisten Konsumierenden tiefer, als der bloße Wunsch, eine neue Technologie um der Technologie willen zu nutzen. In den meisten Fällen liegt das Bedürfnis nach ökologischem, nachhaltigen und autarken Handeln zu Grunde. Wichtig für die Produktentwicklung ist es, sowohl diese tieferliegenden Motivation als auch die gesamte, konkrete customer journey der Kund*innen zu verstehen: Relevante Schmerzpunkte müssen adressiert und überraschende, begeisternde Moment im Erlebnis geschaffen werden.
An dieser Stelle geben gemeinsame Workshops mit dem Nutzenden zur Produktentwicklung, zum Beispiel nach der Design Thinking-Methode, wertvolle Einblicke in das jeweilige Empfinden. Für das Produkt-Angebot ist dann mehr als nur Strom in Varianten von Arbeitspreis und Monatsgebühr zu beachten. Viele Elemente müssen zu einem sinnvollen, customer-centric Eco-System zusammengefügt werden:
- Hardware: Wallbox, Photovoltaik-Anlage, Stromspeicher
- Software: Visualisierung und Energiefluss und -verbrauch, bis hin zum teilweise autarken Management der Energie
- Art der Energieerzeugung: Naturstrom, 100% ökologisch
Wie diese Elemente zu einem überzeugenden Gesamt-Portfolio, einem echten Eco-System zusammengesetzt werden, leitet sich aus den Anforderungen der Kund*innen und der Marktsituation ab: Im Mittelpunkt steht ein einfach zu verstehendes, attraktives Kombiangebot, das Strom zuhause und mobil, fürs Backen wir fürs Auto-Laden umfasst. Mit Elementen wie einer smarten Hardware - allen voran die Wallbox – kann aus dem Kombiangebot ein Eco-System werden. In diesem Eco-System wird der Nutzende zu seinem eigenen Energiemanager oder -managerin, indem er auch den eigenerzeugten Strom, zum Beispiel Solarstrom, nutzt und das wunderbare Gefühl erfährt „mit der Sonne vom eigenen Dach Auto zu fahren“. Der Vorteil auf Anbieterseite liegt darin, Kund*innen umfassend zu betreuen, mit Hardware und Software, und auch für vernetzte und wachsende Ansprüche eine Lösung – idealerweise in Form von Laufzeitverträgen - parat zu haben. Beispiele aus anderen Branchen gibt es zuhauf, ein prominentes ist sicher Apple, die im Consumer Electronics, in der Software, in Cloud-Speicherplatz und in Medien- und Services ein mehr als umfängliches Eco-System beherrschen.
Auch für den Start eines solchen Eco-System machen wir gute Erfahrungen damit, Kund*innen frühzeitig in die laufende Portfolio-Gestaltung einzubeziehen. Dies kann zum Beispiel als Beta-Tester*in geschehen, mit einem engen Monitoring der Customer Experience und der ständigen, iterativen Verbesserung des initialen Produktes.
Die App – oder wie das Eco-System zum Kunden kommt
Wir halten fest: Die Einfachheit zieht sich wie ein roter Faden durch Preisgestaltung und Portfolio. Gleiches muss natürlich für die gesamte Customer Experience, entlang allen Kontaktpunkten des Unternehmens, gelten. Allen voran die App, denn sie bietet Kund*innen jederzeit und gerade auch mobil den Zugang zum Angebot des Energieunternehmens.
Folgende Kriterien sind für eine erfolgreiche, kundenorientierte App notwendig:
- Performanz
- Konsistenz
- Einfachheit
Dass die App performant sein muss und nahtlos an notwendige Backend Systeme und Kundendatenbanken anschließt, sei hier nur der Form halber erwähnt. Das kann jedoch für traditionelle Unternehmen mit umfangreichen Legacy-Systemen durchaus eine Herausforderung sein und sollte ausreichend beachtet werden. Darüber hinaus bildet die Energie-App die gut durchdachte, lückenlose Customer Journey ab.
Teilweise noch zu wenig beachtet wird jedoch die Tatsache, dass die App auch der strategischen Ausrichtung des Unternehmens folgt. Das Unternehmen muss sich die Frage stellen, wie es wahrgenommen werden möchte. Und die Antwort auf diese Frage reflektiert sich an allen Touchpoints, wie Website, Customer Service und eben auch der App. Konsistenz im Marken-Versprechen und in der Lieferung des Markenversprechens, zu jeder Zeit und an jedem Berührungspunkt, hilft auf Kundenseite das notwendige Vertrauen zu schaffen. Last but not least gilt auch bei der App das Gebot der Einfachheit. Weniger ist mehr und intuitives Design schlägt grundsätzlich das technisch mögliche Design.
Hilfreiche, visuelle Dashboards unterstützen den Kunden beim Laden, Monitoren und Managen seines Energiebedarfs. Dabei kann die einfachste App auch die sein, die sich zumindest teilweise selbst ersetzt: Wer nur sein Elektroauto aufladen möchte, ist häufig am besten mit einer ergänzenden Ladekarte bedient, einem RFID-Chip oder einer „Plug & Charge“ Lösung, bei der die Ladesäule über near-field Technologie automatisch den Kunden erkennt. Dafür muss die App auf dem Smartphone gar nicht einmal geöffnet werden.
Aus der Konzeption und Umsetzung von App-Entwicklungsprojekten wissen wir, dass ein Aspekt oft zu wenig berücksichtigt wird. Das kontinuierliche Testen und Weiterentwickeln der App erhält gegenüber spannenden, neuen Features weniger Aufmerksamkeit und auch weniger Ressourcen. So werden technische Schulden aufgebaut. Das gilt es zu vermeiden. Die App muss in allen relevanten Kriterien, von Performanz, über Konsistenz bis zur Einfachheit und dem Fit mit der strategischen Unternehmensausrichtung top sein.
Sind Produktentwicklung und App-Development auch bei Euch relevante Themen? Dann sprecht uns an. Wir freuen uns auf Euch.
[1] Joint Venture von BMW, Daimler, Ford, VW/ Audi/ Porsche – Anm. der Redaktion.